[pressbook]
|
|||
reset | Der literarische Salon im Internet Sein Roman ist zwar fertig, doch die Figuren bekommen ein Eigenleben im Internet. Walter Grond erzählt Tobias Hierl über ein ungewöhnliches Internetprojekt und neue Perspektiven. BUCHKULTUR: Ihr neuer Roman besteht fast aus zwei Teilen. Dem gedruckten Buch und dem Internetprojekt. Haben Sie von vornherein mit dieser Kombination spekuliert? Grond: So würde ich es nicht sagen. Der Roman war noch nicht fertig. Bei einem Gespräch mit Martin Krusche, einem Autor und Internetkünstler aus der Steiermark, über das Fremde tauchte plötzlich die Idee eines Internetprojektes auf. Das hat mich interessiert, doch war mir klar, dass ich nicht Online-Literatur produzieren möchte, also den Text ins Netz stellen und durch irgendwelche ästhetischen Illustrationen, Interventionen noch einmal verdoppeln möchte. Es sollte ein Plädoyer des Umgangs zwischen Literatur und neuen Medien sein. Außerdem fand ich es interessant, einen Hypertext zu bauen, in den so etwas wie Leservarianten des Romans hineingestellt würden, und Klaus Zeyringer, Literaturwissenschafter in Frankreich, würde als Dritter im Bund darauf wieder reagieren. BUCHKULTUR: Bekommt der Roman dadurch eigentlich Leser? Grond: Es ist ein relativ kompliziertes Hypertextgewächs auf der Grundlage eines eigentlich abwesenden Romans entstanden, das sich zunehmend dem Roman abgewandt hat und den Themen, die im Roman drinstehen, zugewandt hat. Es entstanden immer mehr Diskursfelder, Diskussionsebenen etc. Ich habe in vielen Bereichen mit Internetmedien zu tun, die haben mir das System des Hypertextes als vollkommen altmodisch erklärt, das heute niemand mehr macht. Es läßt sich weder verwerten noch verkaufen. Doch wir haben gesehen, dass im Hypertext etwas möglich ist, was ansonsten nur durch eine unglaublich komplizierte Übereinanderschichtung der verschiedenen Ebenen des Literaturbetriebs passiert. Es gibt einen Subtext für einen Roman, der Roman wird geschrieben, darauf wird reagiert und das alles kann man in einem Hypertext liefern. BUCHKULTUR: Der Roman hat dann im Internet neue Dimensionen hinzu gewonnen? Grond: Das war die eine Stufe. Dann kam die Erkenntnis, dass das Ganze auf elektronischer Ebene einem literarischen Salon früherer Zeiten entspricht. Wir sagten, wenn man über das Fremde redet, muß man über das Eigene reden. Das ist wesentlich, denn nur wenn man die eigenen Referenzen auf den Tisch legt, hat man das Recht, über das Fremde zu reden. Der elektronische Salon verwirklicht auf seine sehr pragmatische Weise etwas, was uns im physischen Leben nicht mehr möglich ist, nämlich dass Leute, die aus verschiedenen Gründen an der Peripherie stehen, Krusche in der Steiermark, Zeyringer in Frankreich, miteinander kommunizieren können. Der nächste Schritt, zu dem wir uns durchgerungen haben, war, zu sagen, wenn wir über das Fremde reden, müssen wir eigentlich die Fremden zum Reden bringen. Mit ihrer Erzählung tritt ein neuer Erzähler in diesen Salon ein und dadurch wird der salon größer. BUCHKULTUR: Wird dbaei jeder, der einen Beitrag liefert, in den Diskurs aufgenommen? Grond: Es gibt zwei Ebenen von Usern, diejenigen, die dazu stoßen, sind Leute, die zu einem bestimmten Zeitpunkt der Debatte an dem Projekt teilgenommen haben und von uns aufgefordert wurden, selbst eine Plattform zu entwickeln. Im Prinzip ist es der innere Kern der User, deren Interesse sich manifestiert, die nicht nur anklicken, lesen, sondern die sich bei uns melden, eingreifen auf einer Ebene, die bekommen von uns das Angebot, selbst als Erzähler in diesen Salon einzutreten. Insofern ist es modellhaft, im Luhmannschen Sinn als kaltes Medium gedacht, es lädt sich erst mit den Benützern auf, die über den Konsum hinaus eingreifen wollen. Da lädt sich das Ganze erst auf. Da überschneidet sich das Eisbergmodell, das Letzte schwimmt an der am besten sichtbaren Oberfläche, mit einer umgekehrten Pyramide. Es beginnt mit drei und zerfließt idealistisch formuliert ins Dokuversum. In einem gewissen Stadium des Projektes tritt die babylonische Sprachenverwirrung ein, weil wir die Fremdsprachigen auffordern, mit ihren eigenen Sprach zu kommen. So gibt es einen Text auf Spanisch, Arabisch, Bosnisch, Albanisch. Das bedeutet als Kommentar auf das Dokuversum, dass eine englische Version notwendig wird, um diese Sprachenverwirrung auf einen gemeinsamen Diskursnenner zu bringen. BUCHKULTUR: Wenn mit den hinzukommenden Erzählern die aktuelle Oberfläche bestritten wird, entstehen dann nicht neue Romanebenen? Grond: Es ist, als würde der Roman lebendig werden und bedeutet, dass der Roman als Fiktion verschwindet. Reale Personen drängen die fiktionalen personen ganz nach unten, da die realen Personen wichtiger sind. Deshalb stimmt das Eisbergmodell, indem sie nämlich reale Personen werden, mit ihren eigenen Geschichten, mit ihren Homepages, die wir Büro nennen und wo sie Eigenes wieder einbringen und damit zu realen Personen in einem Informationsspiel werden, und gleichzeitig die ursprüngliche Geschichte immer mehr nach unten drücken. Dabei gibt es Redundanzen, da Ebenen aus der unteren Ebene weiter laufen und weiter oben in einer neuen Begrifflichkeit wieder auftauchen. Oben geht es nicht mehr entlang von Literatur, sondern entlang von eigenen Möglichkeiten, die das Internet bietet. Wir nennen das Erzählungen. In einen unteren Ebene gab es eine Diskursebene, wo Themen essayistisch behandelt wurden. Oben heißt das Verlag, weil es im Prinzip eine Form von Zeitschrift ist. Das Internet als Textspeicher, eine Möglichkeit. Dann gab es unten eine Debattenebene, die nennen wir oben Diskussion. Was unten Kontext hieß, heißt oben Kommunikation. Jeder, der mitspielt, legt auch seine Referenzen offen. BUCHKULTUR: Solche Projekte kosten Geld. Wer kommt eigentlich für die Kosten auf? Grond: Im Moment finanziert sich das über Sachsponsoring eines Providers in Graz, der uns die Software zur Verfügung stellt. Deshalb hinkt auch die Oberfläche immer ein wenig hinter der aktuellen Entwicklung hinterher. Aber diese Trägheit hat auch ihren Reiz und unterwirft sich nicht dem Speed der Internetwelt. Das Ganze stößt vom Arbeitsaufwand an eine Grenze, hat aber Interesse hervorgerufen, dass es sich rückbilden wird in den realen Raum. Es wird angedacht, ob sich nicht in einer nachfolge einer Landesausstellung ein Medienzentrum entwickeln sollte, mit dem Kernstück house als Schnittstelle zwischen realem Raum und Dokuversum. Das Projekt begibt sich in eine professionelle Richtung. Bisher war es ein Experiment, das wir uns geleistet haben, um einige Möglichkeiten auszuprobieren. BUCHKULTUR: Was verstehen Sie unter der Professionalisierung? Grond: Professioneller bedeutet, dass man Leute hat, die Texte ins Netz stellen, dann braucht man Übersetzer für die englische Version. Wenn man außerdem weiter betreibt, wird es bald so viele Projekte geben, die man betreuen muß, dass es von bezahlten Leuten gemacht werden muß. BUCHKULTUR: In der Schublade sind also noch andere Geschichten? Grond: Jemand stößt auf das Projekt und dann entspinnt sich eine Debatte unter dem Tenor wie können sich Intellektuelle in die neue Mediensituation einbringen. Insofern ist es ein sehr elitäres Projekt, weil wir es uns leisten, neben medienkonvergenten Seiten, die sich auch trivialen Dingen widmen, auch differenzierte Debatten zu führen. Ein Beispiel so einer Plattform, die in relativ naher Zukunft online gehen wird: ich habe in Ägypten einen Literaturwissenschafter getroffen, der sich das angesehen hat und mir erklärte, dass gerade in aus unserer Sicht so peripheren Kulturen wie der ägyptischen die Debatten über Globalisierung in einer wesentlich offensiveren Form geführt werden als hier. Da spielt das eine sehr große Rolle, da es auch um einen neuen Kolonialismus geht und sie auch sehen, sie könnten sich neu einbringen. Ausgangsbasis war also, wie könnte man die Kritikfähigkeit von Intellektuellen in der ökonomische Welt nützen. Wir sind dann auf ein Projekt gestoßen, das wir O&O nennen werden, ein Bulletin zur Kritik der Werbesprache, und da werden Intellektuelle, Werbefachleute, Ärzte, Webdesigner in einigen Ländern der Welt jeweils Werbungen, die ins Netz gestellt werden, aus ihrem kulturellen Code heraus kritisieren. So etwas wie eine interkulturelle Kritik von Werbesprache. Das eine ist also eine intellektuelle Geschichte, wo man liest, wie sieht z.B. ein peruanischer Wissenschafter eine Römerquelle-Werbung und gleichzeitig einer aus Bosnien und gleichzeitig einer aus Ägypten und das andere ist, dass dadurch auch eine Grenze überschritten wird in Richtung ökonomischem Denken, denn das sind die Dinge, die man wahrscheinlich auch der Industrie anbieten wird. Die Gründung einer Art Kritikagentur. Das Multimediale wird auch zunehmend eine Rolle spielen und wir haben auch vor, Internetradio zu machen. Momentan finden sich acht transkribierte Sendungen auf der Homepage. Ich möchte aber nur modellhaft etwas vorführen. Meinen nächsten Roman möchte ich nicht auf diese Weise begleiten. BUCHKULTUR: Danke für das Gespräch. ZUM ROMAN Der Roman Old Danube House erschien im Haymon Verlag. Die Handlung erstreckt sich zwischen Wien, Moskau und Sarajewo, wobei die Frage im Mittelpunkt steht, mit welchen Formen des Fremden wir uns heute auseinandersetzen müssen. Ost es die Kultur eines unbekannten Landes, ist es die heutige Technik oder eine verdrängte Vergangenheit oder alles zusammen? Dieser Roman war Ausgangspunkt eines Internetprojektes und bildet dort die unterste Ebene. Besucher schreiben nun die Figuren weiter und geben ihnen so fast etwas wie ein Eigenleben. Dadurch entwickelt sich der Roman zu einem Hypertext. Er verzeigt sich, überlappt und entwickelt Schnittstellen. |
||