Ziemlich wow
Netz-Literatur in Österreich
Was ist schon die gähnende Weite des Universums gegen
ein «Dokuversum, das ins potenziell Endlose hinaus stürzt»? Der
Urknall solcher Parallelwelten hat sich vor einem Jahr in
Niederösterreich ereignet, seither materialisiert sich die reine
künstlerische Energie immerhin in einem «house». «house» nennt sich
ein ambitiöses Projekt der österreichischen Internet-Literatur, das
wiederum seine Grundlage in Walter Gronds im Vorjahr erschienenen
Roman «Old Danube House» hat. Die Themen des Buches sollen sich im
Internet fortpflanzen, andere Autoren und Orte zu einem
künstlerisch-essayistischen Netzwerk zusammenwachsen, das von drei
Renegaten des Kulturbetriebs ins Leben gerufen wurde: Walter Grond,
Schriftsteller und als ehemaliger Vorsitzender des Grazer «Forum
Stadtpark» zerfallen mit den dortigen Protagonisten, Martin Krusche,
Medienkünstler, und Klaus Zeyringer, Germanist.
In den Debatten finden sich noch Autoren wie Marlene
Streeruwitz, Peter Glaser, Dzevad Karahasan oder Dubravka Ugreic,
Texte auf Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch vertiefen das,
was als von den Erfindern «als wahrlicher Hypertext, als
Verschaltung einer Schnittstellen-Kaskade» gepriesen wird. Das
Internet bringt jenen «transindividuellen Autor» hervor, von dem
Walter Grond schon in seinem Roman «Old Danube House» behauptet hat,
er sei «gleichzeitig tot und lebendig». Das hat er möglicherweise
mit dem Internet gemein, das sich erst unter der Reibungswärme
seiner User so richtig erhitzt. Und heiss geht es bei «house», der
Debattenzentrale «über das Fremde und die Peripherie» wahrlich her.
Überhaupt ist das Ganze, wie es in der
Selbstbeschreibung heisst, ein «hybrider Spiegel von Welten der
Melange». Von Sarajewo über die Roboterchirurgie bis zur
«Intellektualität in Rio de Janeiro» reicht das Diskurspotential.
Mit einem Abstecher in die politische Situation Österreichs, und
wieder zurück in Diskussionen über den Kunstbegriff der Avantgarde.
Im «house» von Grond, Krusche und Zeyringer wird über alle
Grundsatzfragen der Intellektualität geschrieben, und dieser
virtuelle Raum, es ist, um im Bild zu bleiben, gehörig unterkellert.
Immer tiefer kann man in diesen miteinander vernetzten Räumen
steigen, und den Debatten dabei zusehen, wie sie sich allmählich
selbst untergraben. Denn «house» erzeugt mit der von den Autoren
selbst erfundenen «Utopie unendlicher
Projekt-Kunst-Welten-Ausdehnungen» ein feines Gift der
Selbstberauschung. «Ziemlich wow» ist das alles, wie man beim
jüngeren Pendant österreichischer Netzliteratur sagen würde.
Für «die flut» , vor genau einem Jahr vom jungen Autor
Xaver Bayer ins Leben gerufen, schreiben dreizehn Autoren
regelmässig, jeweils für zwei Monate kommen Gastautoren dazu. «die
flut» ist keine Hypertext-WG wie «house», sondern der originären
Schnittstelle diskursiver Kompetenzentfaltung wesentlich näher. In
den Küchen schriftstellerischer Lebensgemeinschaften entstehen viele
der Texte. «die flut», das ist Low-Tech und Teekochen, eine Flut
blühender Belanglosigkeit, das Weg-Zeit-Diagramm einer
nervenzerfetzenden Adoleszenz, in der man halt treibt, was man so
treibt. Immer am Rande der Orthographie und mitten im Leben.
In Graz «bei wolfi bauer bei einem kaffee abquatschen»,
Bücher von Francis Picabia und Jack Kerouac lesen, «Musik von
Blumfeld gut finden» und Karl Kraus. Überdies «höre man michael
nyman, very laut». Dass rote Gauloises «Unisex-Charakter haben»
erfährt man in diesen laufend aktualisierten Nachrichten aus Linz,
Graz, Wien oder den ubiquitären Höllen der Langeweile: «Zu Hause
sitze ich auf dem Sofa und höre Elvis Presley, der mich bald nervt,
aber die Fernbedienung funktioniert nicht mehr richtig und ich bin
zu träge, um aufzustehen und die CD zu wechseln. Also bleibe ich
sitzen und warte bis sie zu Ende ist, und hoffe, dass sie nicht noch
einmal von vorne zu spielen beginnt», notiert Otto Tremetzberger in
Wien am 19 .9. 2001 um exakt 20 Uhr 53. Das Internet hat trotz aller
Unterschiede mit dem Buch vor allem eben eines gemein: Es ist ein
Medium der Geduld. Siebentausend Seiten Text hat das Vorbild der
«flut», das deutsche Diarium des schriftstellerischen Nachwuchses,
«am pool», in zwei Jahren produziert, bevor man sich aus dem
Internet wieder verabschiedete. Doch «die flut» schwillt weiter an,
sie bringt Gedichte und Prosa, Einsichten und Aufrufe, die Autoren
zu Verlagen und die Verlage zu Büchern. Soeben ist Axel Bayers
Début-Roman «Heute könnte ein glücklicher Tag sein» bei Jung &
Jung erschienen.
«house» und «flut», das ist das Hab und Gut der
österreichischen Internet-Literatur, ein «abquatschen» oder der
Anspruch mit einem Internet-Salon «eine melancholische Haltung
widerzuspiegeln». Und am Ende ist es doch nur das Gleiche. Was ist
das Ziel des Projekts «house»? Ein «elektronisches Zimmer» zu sein
«für Leute, die aus unterschiedlichen Gründen mit einem
Dazwischen-Gefühl leben»? «Dazwischen-Gefühl»? Ziemlich wow,
irgendwie.
Paul Jandl
www.kultur.at/3house und www.dieflut.at
Neue Zürcher Zeitung, Ressort Feuilleton,
5. Oktober 2001, Nr.231, Seite 66